Fluch und Segen
September 30th 2010 by Ronnie in Fotografie, FragwürdigesWenn man in seinen digitalen Bilderarchiv nach mehreren Jahren ohne schlechtes Gewissen und Tränen in den Augen einfach mal so mehrere tausend Bilder löschen kann, dann sollte man sich auch mal Gedanken um den Fluch oder den Segen der modernen Digital"Fotografie" Gedanken machen können und müssen.
In den letzten Wochen habe ich mehrere solcher Reinigungen durchgeführt und so sind knapp 7500 Bilder ins digitale Nirwana gewandert.
Klar könnte man nun behaupten, dass ich scheinbar nur Unsinn mit der Kamera eingefangen habe, ein schlechter "Fotograf" (ab wann ist man eigentlich ein Fotograf? Wenn man eine Kamera bedient? Man ist ja auch Autofahrer wenn man ein PKW steuert! Aber dazu braucht man allerdings einen Führerschein… Ich weiß es nicht.) bin und deshalb jetzt sorglos löschen kann. Nein, das waren Bilder, wie sie vermutlich zu Abermilliarden(!) auf den Festplatten der Menschen liegen.
Dreimal werden sie angesehen: Beim Importieren von der Kamera, dann einmal beim zufälligen durchstöbern der 666 GB großen Bilderbibliothek und dann nochmal im Papierkorb.
Für mich ein klares Zeichen dafür, wie die heutige Fotografie in digitaler Form den Wert der Bilder durch Überschwemmung geschmälert hat.
In den letzten 2 Jahren habe ich ungefähr 1100 Bilder auf Film aufgenommen und davon sind vielleicht 100 Bilder die (zum größten Teil aus technischer Natur) in die Rundablage gewandert sind.
Für mich persönlich hat sich dank der filmbasierten Fotografie eine schöne Weiterentwicklung ergeben. Meine Sicht auf das Thema Fotografie hat sich geändert, komplett gewandelt. Da hätte ich noch zig Verschlüsse einer DSLR ausleieren können bis sich dieser Lerneffekt eingestellt hätte. So entwickle ich liebe 12 grottenschlechte Bilder und nehme mir hinterher die Zeit, darüber nachzudenken und daraus zu lernen.
Es ist für mich ein Hobby, ich verdiene kein Geld damit und muss niemanden Rechenschaft ablegen. Ich will keine Quantität abliefern (das hatte ich scheinbar schon ohne es zu merken (s.o.)). Was die Qualität angeht mangelt es an anderen Dingen, welche heutzutage generell zu kurz kommen (Bildaufbau, Aussage, Idee etc.).
Aber ich arbeite an mir und auch weiterhin an meinen Bildarchiv.
Und wer weiß: Vieleicht lösche ich in wenigen Jahren Bilder von damals – von 2010.
Es ist schlichtweg eine Frage wie wir mit der Technik umgehen. Von den durchschnittlich 50-100 Fotos die ich pro Woche mache, schaffen es meistens weniger als 3 auf die Festplatte. Und von den 3, schafft es vielleicht 1 auch irgendwo veröffentlicht zu werden. Digitale Fotografie hat den Vorteil das man seine Fehler einfach ausbügeln kann. das ist so, als wenn man mit seinem Auto fünfmal vor einen Baum fährt bis man es kapiert hat dem Baum besser auszuweichen. Aber die Beulen am Auto kann man jedes mal mit einem Tastendruck wieder weg machen. Klar, wo Segen ist, da ist auch Fluch. Denn nur all zu gerne wird dieses Prinzip eben auch auf Autos, Möbel, Freundschaften, usw. ausgeweitet. Wenn etwas kaputt ist, wird es weg geworfen und neu gekauft. Wer schraubt denn heutzutage noch irgendwas auf um nachzuschauen ob man es nicht ganz einfach reparieren kann? Allerdings sind viele Sachen mittlerweile auch so schweinebillig, dass es sich kaum lohnt sich Gedanken darüber zu machen. Die Sachen sind ja im wahrsten Sinne des Wortes nix mehr wert. Würde man öfters mal wieder selber etwas bauen/basteln, würde man auch vielmehr den Wert der Dinge zu schätzen lernen. Ich erlebe es ja auch immer wieder in der digitalen Welt das die Leute gar nicht kapieren welche Arbeit z.B. hinter so einem Projekt wie WordPress steckt. Das gibt es gratis, ist mit ein paar Mausklicks installiert und gut ist. Das gleiche gilt für Themes und Plugins. Wenn mich jemand fragt ob ich ihm nicht dies oder das basteln kann, dann sind viele sehr erstaunt welche Arbeit dahinter steckt. Oft kommen so Kommentare wie “das kann doch gar nicht so viel Arbeit sein. Gibt es doch überall kostenlos zum runterladen. Musste doch nur zusammenklicken” In unserer Klick&Buy-Gesellschaft verlieren alle Dinge von Tag zu Tag mehr an Wert und Bedeutung. Schade drum. Schade auch drum, dass sich kaum noch jemand die Zeit nimmt mal etwas selber zu machen, zu erfahren welcher Aufwand dahinter steckt und welchen Wert etwas haben kann. Auch wenn es nur ein ideeller Wert ist.
Vielen Dank für Deinen Kommentar dazu.
Ich wollte das ganze ja nicht verteufeln und sehe das ähnlich wie Du.
Drei Beispiele:
Momentan sitze ich seit langem mal wieder an einem 3D-”Projekt” (ich mag das Wort nicht aber mir fällt gerade nichts anderes ein) und da muss ich die Texturen selbst gestalten. 4 Tage Arbeit sind da schon eingeflossen und wahrscheinlich werden 98% der Betrachter denken, dass man das irgendwo “downloaden” kann.
Wir waren neulich auf einen Töpfermarkt. Die angebotenen Artikel scheinen anfangs etwas teuer. Schaut man sie sich genauer an, so stellt man fest, das man dort Unikate für’s Leben findet. Dinge die man gerne weitergeben möchte und gerne in die Hand nimmt.
Wer mal einen 30 x 40 cm großen Handabzug auf Barytpapier in der Hand hielt, den wird kaum noch von “Poster24″ und Konsorten begeistern können. Aber leider ist auch niemand groß mehr gewillt dafür (und für das Handwerk) einen dreifachen (oder mehr) Betrag in die Hand zu nehmen und dann aber was zu besitzen was man gerne hat und wertschätzt.
In fast allen Bereichen sind wir in einer schnelllebigen, desinteressierten Konsumgesellschaft angelangt, welche austauschbare “Werte” bevorzugt.
Aber sie Zeiten werden sich bald ändern…
Man geht heute mit der Kamera anders um. Früher hat jedes Foto Geld gekostet. Da hat man nicht einfach Bilder gemacht. Es mußte passen. Man konnte es sich nicht anschauen oder ähnliches. Wenn ich an das Theater bei manchen Urlaubsbildern denke, das gibt es heuten nicht mehr. Foto wird gemacht, angeschaut und eventuell gelöscht. Damals hat man sich bei der Abholung der Bilder geärgert.
Ich stimme zu: Dadurch, dass Digitalkameras so erschwinglich geworden sind und keine Verbrauchsmaterialien wie Filme mehr verwenden, ist die Menge an Bildern, die von den Leuten gemacht wird, rasant angestiegen. Dadurch mindert sich natürlich inflationär der Wert eines Photos - der zugehörige Segen zum Fluch ist dagegen, dass es heutzutage jedem möglich ist, in die Photographie einzusteigen.